Kranksein ist nicht die Ausnahme sondern Norm

Immer wieder beobachte ich eine innere Haltung an mir, die nicht möchte, dass ich über meine chronische Erkrankung rede. Schäme ich mich für mein eigenes Kranksein? Eigentlich nicht. Es ist eher so, dass ich niemandem auf die Nerven gehen möchte, mit meinen Ansichten und Erfahrungen die ich mit der Erkrankung mache. Ich möchte mich im direkten Kontakt nicht aufdrängen. Oft habe ich auch das Gefühl, das es nicht in die Situation passen würde, wenn ich mit dem Thema anfange.

Fakt ist: 40% der Bevölkerung ist chronisch krank. In der Gruppe der über 60-Jährigen sogar 50%. Das ist die Hälfte der Menschen in Deutschland. Die Vorstellung das so viele Menschen in meinem Umfeld auch damit konfrontiert sind, mit einer chronischen Erkrankung zu leben, tröstet mich. Ich bin nicht allein und bin Teil eines Phänomens welches viele Menschen betrifft.

Es gibt keinen Grund mich zu schämen, weil ich krank bin. Das Leben ist mit der Diagnose nicht vorbei. Im Gegenteil, bewirkt mein offener Umgang mit der chronischen Erkrankung, dass sich positive Effekte einstellen. Auch mit einer chronischen Erkrankung ist ein gutes Leben möglich.

Aus meiner Sicht begann bei mir eine große Veränderung in dem Moment, als ich mir meiner Endlichkeit bewußt wurde. Die Erkenntnis meiner eigenen Endlichkeit half mir, mehr Akzeptanz für meinen Körper zu finden. Die mit der chronischen Erkrankung assoziierten Einschränkungen sind besser zu ertragen. Natürlich leide ich je nach Stimmung immer noch sehr. Mit größerer Akzeptanz jedoch, bemerke ich, das ich nicht mehr dagegen ankämpfe, sondern mehr spüre, was meinem Körper gut tut und mich dann auch entsprechend verhalte.

Die Offenheit im Umgang mit meiner Erkrankung, hilft mir in vielerlei Hinsicht. Meine Kinder können mich besser verstehen. Sie wissen z.B. das ich nach der Dialysebehandlung müde bin und Ruhe benötige. Bei Entspannungsübungen, die mir in der Mittagspause guttun, nehmen manchmal auch meine Arbeitskollegen teil. Wir tauschen uns über Strategien aus, die dem Wohlbefinden dienlich sind.

Zugehen auf die Krankheit führte bei mir zu einem enormen Wissenszuwachs. Ich weiß inzwischen wie ich mit bestimmten Problemen umgehen kann. Die geringere Leistungsfähigkeit ärgert mich nicht, sondern führt heute zu kleineren und überschaubaren Vorhaben und ich plane aktiv Entspannungs- und Bewegungselemente in meinen Alltag ein.

Stellt sich die Frage, warum ich mich nicht schon als Gesunder so verhalten habe. Warum ich erst krank werden musste, um meinen Körper und meine Bedürfnisse zu spüren und mich auch entsprechend zu verhalten? Ich habe hierzu keine Antwort. Nur eines weiß ich. Durch die Erkrankung bin ich mit diesen für mich existenziell wichtigen Themen in Berührung gekommen. Krankheit war sozusagen das Vehikel, welches innere Prozesse in Gang gebracht hat.

Warum habe ich als Gesunder die Tatsache, dass ich einmal sterben muß, so weit von mir weg gehalten? Manchmal wenn ich im Gespräch über unsere Endlichkeit spreche, sind meine Gesprächspartner irritiert. Sie konfrontieren mich damit, das ich ja noch so viel Zeit habe. Das ich ja noch so jung bin und sie es unpassend finden wenn ich dieses Thema berühre. Machmal bemerke ich aber auch eine Erleichterung und eine Zustimmung meines Gegenübers über meine Offenheit.

Die Auseinandersetzung mit meiner Erkrankung und somit auch mit dem Thema „Mein Körper ist ein begrenztes Vehikel“ führt mich zu innerer Ruhe und einer gelassenen und friedlichen Haltung.

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